Inside Stilfser Joch – oder: Vor 9, nach 4
Die 48 Geheimnisse des Stilfser Jochs. Warum man früh morgens oder abends hochfahren sollte und was das Besondere daran ist.
Das Moppetprosa-Passportrait Vor 9, nach 4 erschien in MOTORRAD, Europas größter Motorrad-Zeitschrift, Ausgabe 5.2020 und kann auf www.motorprosa.com komplett gelesen werden.
Die Königin der Alpenstraßen verbirgt 48 Geheimnisse: ob man sie nun tornanti, Kehren oder Serpentinen nennen will – alle sind sie nummeriert, einige tragen in Stein gemeißelte Höhenangaben, andere zitieren Radsportler in bunter Farbe auf ihrer zerschundenen Fahrbahn. Jede der 48 ist einzigartig und selbst nach hundertfachem Befahren immer überraschend – man liebt sie alle deswegen, oder man hasst jede einzelne.
An wenig anderen Orten läßt es sich komprimierter Motorrad fahren, sich hilfloser in seine Maschine verlieben – oder sie nachhaltiger verdammen. Und an wenig anderen Orten ist der richtige Zeitpunkt für das Befahren wichtiger als hier: will man es des vermeintlich besseren Grips wegen unter kräftiger Sonne tun, erkennt man sofort – hunderte Motorrad-, Rad- und Autofahrer hatten die gleiche Idee und kommen sich nun in die Quere.
[…]
Als Teil dieser Masse ein Motorrad in die Höhe zu bringen, ist weit entfernt von Glück: auf dunklen Benzinflecken schimmernde Blinker-Überreste, Fragmente von Brems- und Kupplungshebeln und Rückspiegel-Scherben erzählen vom Scheitern der versuchten Koordination von Drehzahl, Gangstufe und Linienwahl.
Die daran zerbrochenen Freund- und Liebschaften hinterlassen zwar keine Spuren, aber viele Gesichter auf der Passhöhe sprechen Bände .. Nur wer das alles als “Überlebender” von der Tibet-Hütte aus betrachten kann, findet es vielleicht wieder lustig.
Dabei wäre es doch so einfach: vor 9 Uhr ist das Stilfser Joch noch arg dünn bevölkert, nach 4 Uhr sind die Massen weiter gezogen. Noch früher am Tag lässt sich das Stilfser Joch sogar alleine erleben: wer schon um 6 Uhr auf der Felsterrasse steht, während sich die Sonne über die fernen Bergkämme hebt, erlebt ein wunderbares Schauspiel, muss sich dafür aber im Dunkeln hoch tasten.
[…]
Kehre 46, am Ausgang des Örtchens Trafoi, überrascht noch mit feinem Belag und ordentlich Raum. Doch keinen Kilometer später verengt und verdunkelt sich die Straße im Wald, wird uneinsehbar und düster, als wollte sie damit sagen: Nun geht’s los.
Die ersten Spitzkehren folgen in derart kurzer Distanz aufeinander, dass kaum mehr als der zweite Gang gebraucht wird. Und doch tauchen in diesem dunklen Labyrinth immer wieder lichte Ecken auf, die es dem Kenner und Könner erlauben, rasant und knieschleifend umzulegen.
Vor 9, nach 4 – Bildergalerie
Das Moppetprosa-Passportrait Vor 9, nach 4 erschien in MOTORRAD, Europas größter Motorrad-Zeitschrift, Ausgabe 5.2020 und kann auf www.motorprosa.com komplett gelesen werden.